Ausgabe 09 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Warst du mal Versuchsperson?

Treffpunkt: 19.30 Uhr, Parkplatz, Werksgelände, Ost-Tor. Nach und nach trudeln die Versuchspersonen ein: Zwei Werksmitarbeiter, beide Anfang 50, mit den gleichen grauen Haaren und den gleichen grünbraunen Kleidungsstücken; zwei Studenten; die Dame aus Stuttgart von der Forschungsabteilung; ein Freund des Versuchsleiters und ich. Wir mußten den Führerschein präsentieren - ein Spiel -, gewonnen hatte, wer noch einen alten, grauen Lappen präsentieren konnte, der wurde kräftig angestaunt.

Auf der Fahrt zur Teststrecke sagte die Dame aus der Forschungsabteilung: "Das kann man ja wohl erwarten von einem Auto, das 150000 Mark kostet", und sie meinte, daß kein Laub in die Lüftung des Wagens gerät und dort Geräusche verursacht. Daran arbeiten sie gerade, nach 10 Jahren hoffen sie, es in den Griff zu bekommen. Kurz hinter der Berliner Stadtgrenze auf einem Parkplatz an der Landstraße stand das angemietete Wohnmobil. Wir warteten bis es dunkel wurde, damit man das Licht besser sehen kann. Dann begann die Testfahrt: Sechs mal 20 km mit Automobilen aus dem gehobenen Marktsegment.

Als ich die S-Klasse besteige, um meine dritte Runde zu drehen und hinterher den Fragebogen auszufüllen, beugt sich der Versuchsleiter zu mir herab und erklärt: "Dies ist das größte serienmäßig hergestellte Auto Deutschlands." Ich weiß sofort, was er meint. Zu acht hätten wir bequem Platz. Poliertes Holz, Dutzende von Schaltern und Reglern, allein sechs Motoren in den Ledersesseln, Bordcomputer, Abstandsmesser, von Airbags umzingelt. Rammbock und schußsichere Weste in einem. Ein sehr geräumiger Mutterschoß. Dieser Wagen ist erhältlich in den Farben schwarz, dunkelblau, dunkelgrau und seit neuestem auch in dunkelgrün und dunkelrot.

Ich will´s mal so sagen: Die Qualitätsunterschiede bei einer Herrenunterhose zwischen einem Produkt für 5,- und einem für 50,- Mark: Die gibt es auch im Automobilbau. Die S-Klasse, das ist Schiesser-Doppelripp, beste Qualität. Nicht unbedingt sexy, aber...

Ich drehe den Zündschlüssel, lege den Wahlhebel auf D und nehme den Fuß von der Bremse. Knarrende Wagen fahren am längsten, sagt ein deutsches Sprichwort. Wahrscheinlich stimmts.

Als ich dann durch das nächtliche Brandenburg rollte - durch Großbeeren, um genau zu sein -, was glaubt ihr, wie haben mich die Leute da angesehen?, die anderen Autofahrer, die Fußgänger, die Menschen vor den Fernsehern? Haben sie mich willkommen geheißen als einen, der ihnen Wohlstand bringt; oder aber standen sie mir, als einem Vertreter des Klassenfeindes, ablehnend gegenüber? - Gekuscht haben sie vor mir und meinen acht Zylindern (oder waren es 12?). Rechts und links sind sie in die Gräben geflüchtet. Weil ich der Chef bin. Ein gutes Gefühl.

Ich beschloß, mein Leben zu ändern: Eines Tages, das wußte ich, würde so ein Wagen mir gehören. Ich werde ihn mir gebraucht kaufen, noch nicht mal teuer. Denn dieses Auto ist ein Dinosaurier, ein Flop. Er paßt nur mit eingeklappen Spiegeln in die Waschanlage und schlimmer noch - ach was: Die Katastrophe! - man kann die S-Klasse nicht mit nach Sylt nehmen, sie paßt nicht auf den Autoreisezug. (Die Bahn hat dieses Mißgeschick inzwischen angeblich behoben.) Es sind die kleinen Schwächen, die ihn so sympathisch machen.

Doch bis es soweit ist, will ich wenigstens teurere Unterwäsche.

Hans Duschke

Bov Bjerg meint: Der Duschke am Steuer ist gefährlich. Ich habe ihn fahren sehen.

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