Ausgabe 08 - 1998berliner stadtzeitung
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Flexible Putzteufel

Mehrere Frauengruppen amüsierten die Besucher, als sie für´n Appel und´n Ei das Deutsche Historische Museum auf Hochglanz wienerten

Herr Klien und Herr Saubermann sind ungehalten: Die Putzkolonne von 25 Frauen, die sie durch das Deutsche Historische Museum scheuchen, arbeitet ihnen nicht schnell genug. Und zudem sind sie am Sonntag, dem 8. März, dem "Internationalen Frauenarbeitstag", wie Herr Klien den Tag nennt, nicht etwa wie sonst üblich, unsichtbar frühmorgens oder spätnachts zur Arbeit angetreten. Nein - sie mischen sich am hellichten Tage zur Zeit des größten Andrangs im Museum unter die Menge, um den Glanz der Metropole zu produzieren. So wienern, entstauben und pflegen sie nicht nur eifrig die Ausstellungsstücke, sondern die Feudel bemühen sich auch mal um die Staubflusen auf den Mänteln der irritierten bis amüsierten MuseumsbesucherInnen oder um die Schuhe des Wachpersonals. Auch eine Wanne, die wegen des unerwarteten Einsatzes des Subunternehmens "BerKlien" eintrifft, wird gleich von Besen und Schrubbern in Angriff genommen. Doch Herr Saubermann pfeift die Reinigungskräfte zurück: Olga, dafür haben die nicht bezahlt. Die MuseumsbesucherInnen haben auch noch die Gelegenheit, dem Zahltag beizuwohnen. Für die Putzfrauen mit den Aufdrucken "Rumänien", "Bosnien", "Deutschland" oder "Brasilien" auf ihren blauen Kitteln fällt allerdings nur buchstäblich ein Appel und ein Ei ab, während sich Klien und Saubermann große Scheine in die Tasche stecken. Dazu skandiert ein Chor: "Wir machen uns für deutsche Frau´n und Herrn die Finger schmutzig, sie pflegen auf den Putz zu hauen und finden uns sehr putzig. ... Wer sich nicht wehrt, hat sich ver-kehrt. Dann drehen wir den Spießer um und fegen umgekehrt."

Die Aktion von mehreren Berliner Frauengruppen wurde im Pergamonmuseum wiederholt. Begleitet war sie von klassisch Sandwichplakate-tragenden Flugblattverteilerinnen, die bei der didaktischen Nachbereitung halfen. Die Flugblätter verwiesen auf die heute üblichen Arbeitsbedingungen für die Mehrzahl aller Frauen - eine Realität, die in Medien und Öffentlichkeit meist unter dem Hinweis auf einzelne Karrierefrauen unter den Teppich gekehrt wird: "In den klassischen Frauenbranchen Reinigungsgewerbe, Gastronomie und Einzelhandel arbeiten bis zu 80 Prozent aller Frauen inzwischen in nicht sozialversicherten 610-Mark-Jobs. Andere Frauen werden in eine unsichere Selbständigkeit gezwungen, da sie aufgrund des rigiden Sozialabbaus von staatlichen Hilfen ausgeschlossen werden. Dies trifft insbesondere Migrantinnen und Frauen mit ungeregeltem Aufenthaltsstatus. Als Putzhilfen im Haushalt, als Au-Pairs oder Saisonarbeiterinnen sind sie der Willkür der ArbeitgeberInnen ausgeliefert. Kein Gericht ist zuständig, wenn sie ihren Lohn nicht erhalten... Emanzipation ist kein Exklusivangebot!"

Anschaulich trug eine Rednerin die Ausdifferenzierung des weiblichen Arbeitsvermögens vor: "Wären Sie lieber eine gestreßte Karrierefrau: Kleiderzwang. Handyklingeln. Timeplaner verlegt. Fingernagel abgebrochen. Therapeutin versetzt. Tischreservierung vergessen. Haushaltshilfe angewiesen. Friseurtermin verpaßt. Biofarm gebucht. Gehaltsüberweisung erhalten. Töchterchen sitzengeblieben. Lächeln verrutscht. Helmuts Leinensakko eingelaufen. Steuern abgeschrieben? Immerhin, Sie haben über zehntausend im Monat auf dem Konto! Oder wären Sie lieber flexibel freigesetzt? Möchten nicht auch Sie lieber Ihre Hände sinnlich durch warmes Wasser plätschern lassen? Mit einem farbenfrohen Läppchen durchs Büro wischen. Mit schillerndem Schaum das Klo auf Vordermann bringen? Schon vor dem Morgengrauen Einkaufspassagen, Klinikflure, Bürofluchten, Museumshallen mit beschwingtem Glanz erobern? Mit der Kollegin über Formaldehyd parlieren? Ihren Lohn Woche für Woche befreit vom Paragraphendschungel moderner Arbeitsverträge bar erhalten? Immerhin Sie sind jetzt selbständig..."

Olga Woda

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